Kürzlich durfte ich mir die Brainstorming-Flipcharts ansehen, die bei einem Treffen des Autorenwelt-Teams mit einigen Autoren entstanden sind. Bei der dokumentierten Diskussion ging es vor allem um die Idee des Autorenwelt-Shops.
Dieser neue Online-Büchershop wurde mit der Zielsetzung entwickelt, die Kosten für den Betrieb und die damit verbundene Arbeit gering zu halten und es dadurch zu ermöglichen, den Autoren einen etwas höheren Anteil am Erlös ihrer Bücher auszuzahlen. Meiner Ansicht nach eine großartige Initiative und eine Geste, die mir guttut. Denn gerade die gegenwärtigen Entwicklungen und Diskussionen in der Buchvermarktungswelt haben mir immer wieder das Gefühl gegeben, dass es Viele kaum interessiert, ob der einzelne Autor seine Arbeit fortführen kann oder nicht.
Nachdem ich gesichtet hatte, wie die Meinungslage auf dem besagten Treffen war, habe ich allerdings wieder einmal festgestellt, dass wir Autoren ein ausgeprägt heterogenes Volk sind. Wir arbeiten unter individuellen Bedingungen, haben verschiedene Ziele und erzeugen eine Vielzahl von Genres, Textformen und Stilen für unterschiedliches Publikum. Es wundert mich nicht, dass wir voneinander abweichende Auffassungen von unserer Arbeit haben. Dass einige von uns allerdings so stark davor zurückschrecken, öffentlich auf das Problem der Entlohnung hinzuweisen, bedrückt mich.
Natürlich werden wir »politisch« und nennen implizit andere Händler unfair, wenn wir den Autorenwelt-Shop »fair« nennen. Gerade die Diskussion, die damit angestoßen wird, brauchen wir Autoren aber jetzt. Denn immerhin gibt es in unserem Land eine Art gesellschaftliche Übereinkunft, dass jemand, der einen Beruf in Vollzeit ausübt, davon auch leben können sollte. Und das ist für immer weniger Autoren möglich.
Was bedeutet »faire Entlohnung« für Romanautoren?
Um sinnvoll über das Thema »faire Entlohnung« sprechen zu können, muss man klären, wie man unseren Beruf definiert. Wer ist »Berufsautor« und darf den Anspruch haben, von seiner Arbeit leben zu wollen? Das ist nicht so einfach zu beantworten. Denn die Ernsthaftigkeit, mit der ich als Autorin arbeite, hat nicht unbedingt etwas mit meinem kommerziellen Erfolg zu tun. Der kommerzielle Erfolg wiederum entscheidet aber, ob es überhaupt realistisch ist, ein ausreichendes Einkommen zu erwarten.Ich selbst lebe seit fünf Jahren von den Vorschusshonoraren, die mein Agent mit den jeweiligen Verlagen aushandelt. Ich argumentiere aus der Perspektive einer Verlagsautorin, die populäre Unterhaltung mit dem Anspruch schreibt, ein möglichst großes Publikum zu erreichen. An einem rund 500 Seiten starken historischen Roman arbeite ich inklusive Recherche ein Jahr in 40-Stunden-Wochen. Für diese Art Roman gibt es eine Menge Regeln, die ich mir immer wieder neu, an meinen Lesern, am Markt und an den Wünschen des Verlags orientiert, professionell erarbeiten muss. Und es gibt unmissverständliche Deadlines für die Abgabe des Manuskripts. Ich kann beim Schreiben also nicht immer meinen Launen folgen oder Kunst um der Kunst willen schaffen, die möglicherweise wirklich über das Schachern um Prozente erhaben sein sollte. Ein literarisch experimentierender Künstler, der sich bewusst nicht am Markt orientiert, sollte rein moralisch betrachtet selbstverständlich auch leben können, darf aber nicht erwarten, dass der Markt ihm sein Einkommen einbringt. Für diese Künstlerin oder diesen Künstler müssen andere Mechanismen greifen, wie Stipendien, Fördertöpfe oder anständig dotierte Kulturpreise.
Auch Schreibende, die sich bewusst an eine besonders kleine Zielgruppe mit speziellen Bedürfnissen wenden, müssen akzeptieren, dass »der Markt« kein Garant für ein ausreichendes Einkommen darstellt. Doch für die Berufsautoren, die ihre Romane bewusst so gestalten, dass sie viele Menschen ansprechen, sieht die Lage anders aus.
(Bevor nun jemand die bildungssnobistische Bewertungskeule schwingt und solcher »Mainstream-Literatur« die Existenzberechtigung abspricht: Shakespeare, Goethe, Twain, Agatha Christie, Jane Austen und Astrid Lindgren wussten ausgezeichnet, wie man so schreibt, dass man möglichst viele Menschen erreicht.)
Gehen wir also davon aus, dass ich mich im obigen Sinn als Berufsautorin betrachte. Bevor ich mich beschwere, weil ich von meiner Arbeit nicht sorgenfrei leben kann und den Grund in einer unfairen Beteiligung am Erlös meiner Bücher suche, muss ich mich natürlich der unangenehmen Frage stellen, ob mein »Produkt« (meine Schreibe, meine Ideen, meine Vermarktung) nicht gut (populär) genug ist, um ausreichend Käufer zu finden. Wieder eine schwierige Frage. Wie viele meiner Romanexemplare müssen in einem Jahr Käufer finden, damit ich meinen Stil und meine »Ware Roman« als ausreichend attraktiv betrachten darf? Müssen es 100.000 sein? Reichen 10.000? Wer bestimmt, wann ein Buch ein »Flop« ist?
Anders betrachtet: Das typische Taschenbuch kostet heute € 9,- oder € 10,-. (Ein Preis, auf den ich keinen Einfluss habe, weil der Verlag ihn festlegt.) Ich bekomme laut Verlagsvertrag branchenübliche 5-6% vom Nettoladenpreis, also € 0,42 bis 0,56 pro Exemplar.
Um über diese Tantiemen ein Bruttojahreseinkommen von € 15.000 zu erreichen, müssen 26.800 bis 35.700 Bücher im Jahr verkauft werden. Das ist eine recht hohe Anzahl von Büchern für ein sehr niedriges Nettoeinkommen. Ich bitte, hierbei zu bedenken, dass der deutsche Buchmarkt rein zahlenmäßig viel engere Grenzen hat als z.B. der englischsprachige. Und bei aller Liebe zum leicht zugänglichen Schreiben: Bücher, die populäre Renner werden, sind aus guten Gründen rar. Für solche Bestseller muss ein gutes Manuskript auf viele glückliche Umstände gestoßen sein. Der richtige Zeitpunkt, Zufall und gelungene, groß angelegte Vermarktung spielen dabei eine wichtige Rolle – Faktoren, auf die Verlagsautoren kaum Einfluss haben.
Ohne an dieser Stelle weiter auf die komplexen Kostenfaktoren der Buchherstellung einzugehen, mache ich folgendes Gedankenexperiment: Ich lege willkürlich fest, dass ich es bei einem 500-Seiten-Buch für fair hielte, wenn der Autor pro verkauftes Buch brutto einen Euro erhielte. € 1,- für ein Exemplar des Werks, in dem ein Jahr Lebenszeit steckt. Das klingt meiner Ansicht nach nicht nach unbescheidener Gier. Unter diesen Bedingungen müssten sich nur noch 15.000 Bücher verkaufen, damit sie oder er von den Tantiemen sparsam leben könnte. Eine Situation, mit der ein viel größerer Teil aller Autoren vermutlich schon ohne Dauersorgen zurechtkäme.
Um auf diesen einen Euro zu kommen, müssten bei einem Buch für € 10,- entweder die anderen Beteiligten des Systems der Buchherstellung- und -vermarktung auf etwa 50 Cent pro Buch verzichten. Oder das 10-Euro-Buch müsste um diese 50 Cent teurer werden, die dann allerdings komplett den Autoren zugutekommen müssten. Oder eine Mischung aus beidem.
Der Autorenwelt-Shop
Dem Team vom Autorenwelt-Shop gelingt es, auf einen Teil der Marge zu verzichten, die der Buchhandel für gewöhnlich erhält. Natürlich wird das vielen Buchhändlern nicht möglich sein. Vielleicht ist es niemandem in der Kette der Herstellung und Vermarktung möglich, auch nur auf einen einzigen Cent zu verzichten. (Vielleicht gibt es in dem ganzen System überhaupt keine wohlhabenden Menschen, die sorglos leben? Echt jetzt?) In diesem Fall allerdings muss klar gesagt werden: Wenn in diesem Geschäft niemand mehr Gewinn macht und alle nur noch um ihre schiere Existenz fürchten, weist das wohl darauf hin, dass wir unser »Produkt« schon seit vielen Jahren unter Wert verkaufen. Es wäre dann unerklärlich, dass ein 700-Seiten-Buch, an dem ich eineinhalb Jahre gearbeitet habe, nur € 9,99 kostet – ein Preis, für den man vielerorts schon keine Kinokarte mehr bekommt und den so mancher Schreibwarenladen für ein schickes, leeres Notizbuch ansetzt.Ich glaube daran, dass unsere Leserinnen und Leser das Lesen genug lieben, um den wahren Wert eines Buchs anzuerkennen, wenn man sie friedfertig und deutlich darüber aufklärt. Ich glaube, dass sie die Idee mögen werden, den Autoren ihre Wertschätzung mitzuteilen, indem sie sich für den Fairtrade-Gedanken entscheiden. Der Autorenwelt-Shop macht es ihnen leicht, weil er ihren Geldbeutel nicht zusätzlich belastet. Tatsächlich bin ich aber überzeugt, dass sie auch einen etwas höheren Preis für Bücher zahlen würden, wenn sie sicher sein könnten, damit den von ihnen geschätzten Autoren das Weiterschreiben zu ermöglichen.
Als Bittstellerin oder Bettlerin empfinde ich mich nicht, wenn ich Leserinnen und Leser auf die nicht ganz fairen gegenwärtigen Umstände und den neuen Shop hinweise.
Zum Schluss noch ein paar Erklärungen für alle, die sich fragen:
1. Warum machen Autoren Verträge mit Verlagen, wenn sie von denen so niedrig beteiligt werden?
Ein guter Verlag bündelt das Knowhow und das Werkzeug, das nötig ist, um aus dem Manuskript des Autors ein Papierbuch zu machen und es in den Handel zu bringen. Da gibt es Lektor*innen, die beim Feinschliff des Textes helfen, Gestalter, die Cover, Seitenlayout und evtl. Werbematerial anfertigen, Leute, die mit der Druckerei die besten Bedingungen aushandeln, Vertriebsleute, die mit den Buchhandlungen in Kontakt stehen, und Presseleute, die sich darum bemühen, Aufmerksamkeit für das Buch zu gewinnen. Natürlich kann der Autor einen Teil dieser Dinge auch selbst tun oder sich Fachleute dafür auf dem freien Markt suchen. Das kostet aber Zeit, die er/sie von der Schreibzeit abzweigen muss. Spätestens an der Aufgabe, das fertige Papierbuch überregional im stationären Buchhandel sichtbar zu machen, scheitern zudem die meisten Selbstverleger. Im Gegensatz zum E-Book lassen sich selbstverlegte Papierbücher bisher auch nur zu hohen Ladenpreisen so verkaufen, dass ein Gewinn übrigbleibt. (Weil kein einzelner Autor so preisgünstige Bedingungen mit den Herstellern aushandeln kann wie ein Verlag.) Außerdem kommt noch etwas extrem Wichtiges hinzu: Das Wort »Verleger« kommt von »Vorlegen«. Ein guter Verlag lässt sich auf das Risiko ein, alle an der Herstellung Beteiligten zu bezahlen, bevor das Buch etwas erwirtschaftet. Auch den Autor. Der/die bekommt nämlich in der Regel einen Vorschuss auf sein Honorar. Auf diesen Vorschuss sind viele Autoren angewiesen, um überhaupt am nächsten Buch arbeiten zu können.2. Warum haben nicht einfach alle Autoren einen »Brotjob«, der sie ernährt, und schreiben nebenbei ihre Romane?
Müsste ich mir einen »Brotjob« suchen, würde ich zumindest keine Verträge mit Verlagen mehr abschließen. Kraft und Zeit würden für beides nicht ausreichen. Möglicherweise würde ich überhaupt keine Romane mehr schreiben, je nachdem, wie viel mein »Brotjob« mir abverlangen würde. Ich habe nämlich auch noch eine Familie und wünsche mir wie jeder andere ein klein wenig freie Zeit zum Durchatmen. Manche Autoren haben Glück mit ihrem »Brotjob« und können ihn mit dem Schreiben gut vereinbaren, andere verzichten heldenmütig, aber auch ziemlich selbstausbeuterisch immer wieder darauf, anderen wichtigen Aspekten des Lebens Zeit zu widmen. (Gerade für Autoren, die das Leben kennen sollten, über das sie ja schreiben wollen, eine gefährliche Sache.) Ich für meinen Teil sehe, dass man Leuten, die in anderen schlecht bezahlten Berufen arbeiten, diese Frage in Deutschland so (zum Glück) nicht stellen würde, gleichgültig, wie sehr sie ihre Arbeit lieben und sie vielleicht auch um ihrer selbst willen tun würden. Wer würde es wagen, eine Erzieherin zu fragen, warum sie nicht für ihr »Brot« nachts in einer Strumpfhosenfabrik arbeitet und nebenbei tagsüber stundenweise im Kindergarten?P. S. Verzeiht das Kuddelmuddel in meinem mehr oder weniger geschlechterbewussten Sprachgebrauch.