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Freitag, 14. Juni 2019

Fragen an die Autorin



Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war es in England noch legal und gültig (wenn auch unüblich), sich ohne kirchliche und staatliche Lizenz trauen zu lassen. Das Fleet-Viertel in London hatte sich dafür als Anlaufstelle etabliert. Viele Paare, die wichtige Gründe hatten, nicht den »offiziellen«, angeseheneren, aber auch langwierigen und teuren Weg einer normalen Hochzeit zu gehen, machten von der Möglichkeit einer »Fleet Mariage« Gebrauch. Zuerst fanden die »irregulären« Eheschließungen meist in der Kapelle des Schuldgefängnisses statt, dann entdeckten die Inhaber der umliegenden Gasthäuser die Sache als Geschäftsidee, und bald boten viele Anwohner diesen Service an. Ein Geistlicher scheint übrigens meistens anwesend gewesen zu sein, aber nicht zwingend. 1753 wurde diese Art von Eheschließung staatlicherseits verboten.



Ich höre öfter mal, dass jemand sich von einem Roman ein wenig abgeschreckt fühlt, wenn gleich am Anfang klar wird, dass viele Personen mitspielen (weil z.B. das Personenverzeichnis so lang ist.) Bei historischen Romanen scheint das häufiger der Fall zu sein. Eine Erklärung dafür ist, dass es beim Schreiben kaum möglich ist, historisch authentisch zu bleiben, wenn man das »Romanpersonal« zu stark ausdünnt. Um bei »Lady Annes Geheimnis« als Beispiel zu bleiben: Allein die kurfürstliche (Georg Ludwigs) Familie und ihr Hofstaat bestanden in der Wirklichkeit aus weit mehr Personen als im Roman mitspielen. Wenn ich sie auf noch weniger Charaktere beschränken würde, um den Roman besonders leicht lesbar zu machen, würde es das historische Bild von so einer Hofgesellschaft stark verzerren und irgendwie auch langweiliger machen. Das wäre für euch Leserïnnen dann auch enttäuschend.
Während ich schreibe, füge ich übrigens jede Person, die ich in die Geschichte einführe, immer gleich zum Personenverzeichnis hinzu. Später diskutiere ich dann mit meiner Textredaktions-Lektorin, welche der Personen vielleicht aus dem Verzeichnis gestrichen werden können. Meistens kommen wir zu dem Schluss, lieber mehr als weniger von ihnen dort zu nennen, also auch die, die eigentlich nur kleine Nebenrollen spielen. Das kann für jemanden, der schon vor dem Lesen einen Blick aufs Verzeichnis wirft, natürlich etwas überwältigend wirken. Meistens verliert sich die Sorge aber beim Lesen, so weit ich weiß.


Meine Romane spielen in ganz unterschiedlichen Epochen. Die drei aus dem Lübbe Verlag (»Das blaue Medaillon«, »Das Mätressenspiel« und »Lady Annes Geheimnis«) sind zwar alle im höfischen Milieu der Barockzeit angesiedelt, aber es gibt noch sechs weitere historische Romane von mir, und sie spielen im neunten, elften, vierzehnten, fünfzehnten und siebzehnten Jahrhundert. (Wenn es euch genauer interessiert, erfahrt ihr alle Einzelheiten auf meiner Webseite www.martha-sophie-marcus.de.) Mit dem Roman, an dem ich zur Zeit arbeite, reise ich ins neunzehnte Jahrhundert – ebenfalls eine ungeheuer spannende Epoche.


Bei der Recherche stütze ich mich zu 90% (nach Zeitaufwand betrachtet) auf Fach- und Sachliteratur. Die gibt es zur »georgianischen« Epoche in England sowohl von deutscher als auch von englischer Seite reichlich. Ich poste hier mal ein Bild, auf dem einige der Bücher zu sehen sind, die mir am meisten weitergeholfen haben. Das detailreichste Werk zu George I. ist derzeit das von Ragnhild Hatton. Schwieriger war es, eine genauere Aufarbeitung der jakobitischen Rebellion von 1715 zu finden, weil das ausführlichste Werk dazu (Daniel Szechi: 1715. The Great Jacobite Rebellion) neu nicht mehr erhältlich war und ich es auch nicht ohne Weiteres über eine Bibliothek beziehen konnte. Glücklicherweise habe ich dann noch eine etwas günstigere gebrauchte Ausgabe gefunden, und sie hat mir tatsächlich ein paar wichtige Einzelheiten geliefert.
Die restlichen 10% Recherche sind Orts- und Ausstellungsbesichtigungen, Video- und Tonmaterial und der gelegentliche Austausch mit einer Fachfrau/einem Fachmann, falls sich eine Frage mal gar nicht über die vorhandene Literatur und das öffentlich zur Verfügung stehende Material klären lässt.
Für »Lady Annes Geheimnis« habe ich mit der Recherche übrigens nicht ganz von vorne anfangen müssen, weil ich mich schon für »Das blaue Medaillon« und »Das Mätressenspiel« (meine Romane, die 2017 und 2018 bei Lübbe erschienen sind) mit dem Hannover der Barockzeit und der Familie von Georg Ludwig beschäftigt hatte.