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Donnerstag, 21. Oktober 2021

Der Glanz der Novemberrosen: Hintergründe Teil 1

  

Taschenbuch und E-Book von »Der Glanz der Novemberrosen« sind im Goldmann Verlag erschienen und überall im Buchhandel bestellbar.

Hannover Mitte des 19. Jahrhunderts: Als Töchter des Lokomotivfabrikanten Georg Brinkhoff wachsen Sophie und ihre Schwestern in Reichtum auf. Aber anders als ihre Familie sieht Sophie die Nöte der Arbeiter. Als sie sich für soziale Gerechtigkeit engagiert, lernt sie den verheirateten Fabrikschmied Karl kennen. Es ist für beide Liebe auf den ersten Blick. Doch hin- und hergerissen zwischen ihrer verbotenen Beziehung und dem Pflichtgefühl gegenüber ihrer Familie heiratet sie schließlich den Ingenieur Ernst Drave, für den sie nichts empfindet. Ihre Liebe zu Karl ist jedoch stärker denn je. Und so beginnen beide ein gefährliches Doppelleben ...

 

 

Sophie ist die Protagonistin in »Der Glanz der Novemberrosen«. Die Siebzehnjährige wäre gern die wohlerzogene, brave Tochter, die ihre großbürgerlichen Eltern sich wünschen, und später eine Ehefrau, an der weder ihr Mann noch die gute Gesellschaft etwas auszusetzen haben. Doch nachdem die Begegnung mit einem einfachen Arbeiter ihr die Augen für die harte, aber auch aufregende Wirklichkeit außerhalb ihres überbehüteten Daseins geöffnet hat, kann sie sich nicht mit einer Zukunft abfinden, die sich nur in den für eine Frau ihrer Klasse vorgesehenen engen Grenzen abspielt. Ihr Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben wächst, so wie ihre Zuneigung zu einem Mann, den sie nicht lieben darf. Sie ringt mit einem tiefen Zwiespalt zwischen der Liebe zu ihrer konventionellen Familie und ihrem Wunsch nach Freiheit und Leidenschaft.

Neulich beim Interview mit der »Neuen Presse« wurde ich übrigens gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Namen der Protagonistin und meinem zweiten Vornamen gibt. Ja, gibt es. Als ich mich für das Pseudonym »Martha Sophie Marcus« entschied, habe ich den Namen Sophie ausgesucht, weil er in der hannoverschen Gegend, aus der ich stamme, früher häufig vorkam. (Möglicherweise wegen der bewunderten Kurfürstin Sophie von Hannover). Gerade zu der Zeit, in der meine fiktive Sophie lebt, ist der Name in Hannover sehr gebräuchlich. So schließt sich der Kreis.

 

Die Geschichte von »Der Glanz der Novemberrosen« beginnt im November 1847 bei der Einweihung des neuen Bahnhofs von Hannover mit einer Lokomotive, die den Namen des hannoverschen Königs trägt: Ernst August. (Noch bis 1866 ist das Land Hannover ein Königreich und die Stadt eine königliche Residenz. Bis 1837 war der König von Hannover auch der König von England. Personalunion, ihr erinnert euch? Um die ging es in meinem letzten Roman #ladyannesgeheimnis.) Die Lokomotive nach dem König zu benennen, sollte ihn sicher dem Hersteller gegenüber gnädig stimmen. Doch die Geste ändert nichts daran, dass König Ernst August kein großer Freund des technischen Fortschritts ist, vor allem nicht des für alle Klassen verfügbaren Eisenbahnverkehrs. Er findet, dass das schnelle Reisen ruhig exklusiv den Vornehmen und Reichen vorbehalten bleiben sollte. Der Druck von außen ist jedoch hoch und die wirtschaftlichen Vorteile der neuen Transportmethode sind nicht von der Hand zu weisen. Deshalb wird der hannoversche Bahnhof innerhalb weniger Jahrzehnte trotz der mangelnden königlichen Begeisterung zu einem der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte Norddeutschlands.

 

 
 
Im Königreich und der Stadt Hannover verlief die Industrialisierung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zögerlich, denn Hof und Regierung fürchteten die Entstehung eines Industrieproletariats mit seiner Neigung zum Aufruhr, aber auch den Anblick von unansehnlichen Industrieanlagen und der begleitenden Umweltverschmutzung im sichtbaren Umfeld der königlichen Residenz. Da das nahe an der damaligen Stadtgrenze am anderen Ufer der Ihme gelegene Dorf Linden nicht im näheren Blickfeld der Hofgesellschaft lag, wurde die Ansiedlung von Industriebetrieben dort früher akzeptiert. Das war die Grundlage der Verwandlung Lindens vom »schönsten Dorf des Königreichs« zu seinem bedeutendsten Industriestandort. (Zum hannoverschen Stadtteil wurde Linden erst 1920.) Ein weiterer wichtiger Antrieb waren der Unternehmer Johann Egestorff und sein Sohn Georg, die mich zu meiner Geschichte inspiriert haben.

Während meines Studiums (Ende des 20. Jh. ;-) )war Linden übrigens eins der begehrtesten Wohnviertel für Studierende. Eine Weile habe ich selbst dort gelebt und es sehr genossen.

 

 
 
Eine konfliktreiche erste Begegnung zwischen zwei Menschen, die einander immens wichtig werden sollen ...
 

 

Der 21-jährige Karl hat es in seinem Herkunftsdorf zwar bis zum Schmiedegesellen gebracht, dort aber keine Zukunft für sich gesehen. Auch seine Kindheitsfreundin Lina und ihr jüngerer Bruder Theo, die verwaisten Kinder von armen Tagelöhnern, sahen keine Chance, sich auf dem Land aus ihrem Elend zu befreien. Die Umsiedlung nach Linden, wo die wachsenden Fabriken immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen brauchen, verhieß neue Möglichkeiten, und die Heirat sollte alles einfacher machen. Doch das Leben in der Stadt ist kaum leichter als auf dem Land. Und auch eine aus tiefer Freundschaft und Verantwortungsgefühl geschlossene Ehe kann plötzlich zu einem tragischen Klotz am Bein werden ...

 

 

Die Eisenbahn fuhr schon in ihrer Anfangszeit ungefähr dreimal so schnell wie eine Postkutsche — für die meisten Menschen bis dahin die schnellste Art zu reisen. Verständlich, dass diese gewaltige technische Neuerung Begeisterung und Faszination auslöste, aber auch Ängste und Entsetzen. Die lärmenden, rauchenden und rußenden Dampflokomotiven machten nicht nur Pferde und andere Haustiere scheu, sondern auch Passantinnen und Passanten, und die ersten großen Unfälle hinterließen einen bleibenden Eindruck. Schon damals stellten aufmerksame Beobachter außerdem fest, dass das »rasend schnelle« geradlinige Reisen die Wahrnehmung der durchreisten Landschaft distanzierter und unwirklicher werden lässt. Einige Zeitgenossen hielten das Eisenbahnfahren wegen der Vibrationen sogar für gesundheitsschädlich.

Aber die Vorteile überwogen selbstverständlich, und die Ausbreitung des Eisenbahnnetzes beeinflusste auch viele andere Entwicklungen. Zum Beispiel wuchs die mögliche Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle, sodass Vorstädte eine bis dahin nicht dagewesene Bedeutung bekamen. Und der Eisenbahnverkehr trug maßgeblich dazu bei, dass überhaupt erst eine einheitliche Uhrzeit eingeführt wurde, auf die der Fahrplan sich stützen konnte.

Die Maschinenfabrik in Linden baute übrigens von 1846 bis 1931 Lokomotiven. Einer ihrer größten Konkurrenten war die Firma Borsig in Berlin.