Mirjana Cvjetkovic hat für die hannoversche "Neue Presse" einen Beitrag über das Buch und mich geschrieben. Hier geht es zur Onlineversion.
Frank Füllgrabe schrieb für die "Landeszeitung der Lüneburger Heide" einen Beitrag, der für Abonnenten der Zeitung online hier im Archiv nachzulesen ist.
Über beide Beiträge freue ich mich sehr.
Taschenbuch und E-Book von »Der Glanz der Novemberrosen« sind im Goldmann Verlag erschienen und überall im Buchhandel bestellbar.
Hannover Mitte des 19. Jahrhunderts: Als Töchter des Lokomotivfabrikanten Georg Brinkhoff wachsen Sophie und ihre Schwestern in Reichtum auf. Aber anders als ihre Familie sieht Sophie
die Nöte der Arbeiter. Als sie sich für soziale Gerechtigkeit engagiert, lernt sie den verheirateten Fabrikschmied Karl kennen. Es ist für beide Liebe auf den ersten Blick. Doch hin- und hergerissen zwischen
ihrer verbotenen Beziehung und dem Pflichtgefühl gegenüber ihrer Familie heiratet sie schließlich den Ingenieur Ernst Drave, für den sie nichts empfindet. Ihre Liebe zu Karl ist jedoch stärker denn
je. Und so beginnen beide ein gefährliches Doppelleben ...
Im 19. Jahrhundert verfestigt sich zunehmend der Kontrast
zwischen der üppigen und farbenfrohen Damenmode der besseren
Gesellschaft und der eher tristen und schlichten Herrenmode. Der Herr,
der etwas auf sich hält, trägt Hut (gern einen Zylinder), Weste, eine
leicht taillierte Jacke in gedeckter Farbe, einen Binder zum Hemd und
einen schicken Gehstock. Und er muss aufpassen, dass er nicht über seine
überlangen Pantalons stolpert, worüber die siebzehnjährige Sophie sich
in einer der ersten Szenen von »Der Glanz der Novemberrose« heimlich
amüsiert.
Karls erster Eindruck von der Frau, die ihn nicht mehr loslassen wird ...
Auch im 19. Jahrhundert führten Missernten und Teuerungen
noch zu dramatischen Hungersnöten, von denen die ärmeren Stadtbewohner
oft schlimmer getroffen wurden als die Leute auf dem Land, die sich
näher an den Nahrungsquellen befanden. In der Stadt musste ein großer
Teil der ohnehin niedrig bemessenen Arbeitslöhne für Lebensmittel
ausgegeben werden. Entsprechend standen den Leuten kaum Mittel zur
Verfügung, um für alle anderen Bedürfnisse aufzukommen. Hinzu kam, dass
günstiger Wohnraum in den Industriestädten, in denen die Fabriken rasant
wuchsen und einen Strom von Arbeitskräften anzogen, ohnehin knapp war.
Das führte dazu, dass Arbeiterfamilien auf engstem Raum leben mussten.
Meist verfügten sie nur über eine häufig schlecht beleuchtete und
schwierig zu lüftende Wohn-Schlaf-Küche, zu der bestenfalls noch eine
kleine Nebenkammer gehörte. In diesem Bereich spielte sich das gesamte
häusliche Leben ab. Besonders die für die Kinderbetreuung und
Zubereitung von Mahlzeiten zuständigen Frauen und ihre kleinen Kinder
verbrachten in dieser bedrückenden, ziemlich ungesunden Enge viel Zeit,
während die größeren Kinder immerhin nach draußen und die Männer in die
Eckkneipen flüchten konnten. Den arbeitenden Männern blieb übrigens
ohnehin wenig Zeit neben ihrer Arbeit. Ein 14-Stunden-Tag war keine
Seltenheit.
Ich finde es immer erstaunlich, dass Menschen, die unter
diesen harten Bedingungen lebten, trotzdem gelegentlich noch die Kraft
fanden, um feiern und tanzen zu gehen. Wahrscheinlich hatten viele von
ihnen trotz aller Not eine ziemlich gute Kondition.
In
Deutschland setzte die industrielle Revolution am Anfang des 19.
Jahrhunderts ein. Die verbesserten Methoden der Eisenproduktion und die
Ausbreitung der Dampfmaschine zogen die Erfindung von Werkzeug- und
Verarbeitungsmaschinen aller Art nach sich. Eine Maschinenfabrik wie die
der Familie Brinkhoff in »Der Glanz der Novemberrosen«, wo vor allem
große Werkstücke wie Lokomotiven oder Erntemaschinen hergestellt wurden,
die sich meist noch in der Entwicklung befanden, war allerdings von
Massenproduktion noch weit entfernt. Auch die Optimierung von Arbeits-
und Vertriebsprozessen musste ja erst einmal erfunden werden.
Das erste Wiedersehen in der väterlichen Fabrik ...
Die streng überwachte, junge bürgerliche Frau des 19.
Jahrhunderts konnte ihren Ehepartner nur mit Zustimmung ihres Vormunds,
also meistens des Vaters, wählen. Gründe, eine Ehe zu verbieten, gab es
für Eltern viele, und oft spielten strategische Überlegungen eine Rolle,
die die gesellschaftliche Stellung der gesamten Familie betrafen. Doch
auch wenn es nicht um kühles heiratspolitisches Kalkül ging, hätte wohl
kaum ein fürsorglicher bürgerlicher Vater dieser Epoche seiner Tochter
erlaubt, einen Mann zu heiraten, der ihr keine in seinen Augen
angemessene materielle Sicherheit bieten konnte. Gab es wenigstens
vielversprechende Aufstiegschancen, konnte das einen Unterschied machen,
doch grundsätzlich war der Wunsch, die eigenen Kinder innerhalb der
Klassengesellschaft eher »nach oben« zu verheiraten, sehr mächtig.
Alternativ
in einer unehelichen Beziehung zu leben, bedeutete für Frauen den
Verlust ihres Ansehens und beraubte sie häufig der Aussicht auf Mitgift
oder Erbschaft (für eine Frau jener Zeit fast die einzigen
Möglichkeiten, zu einer eigenen finanziellen Absicherung zu kommen.)
»Wilde Ehen« wurden oft sogar staatlich unterbunden. Ehebrecherische
Beziehungen verboten sich natürlich völlig, obwohl viele arrangierte
Ehen mangels einfacher Scheidungsmöglichkeiten nach einer Weile nur noch
pro forma existierten.
Wann immer also das Herz damals einen eigenen
Willen hatte und die Leidenschaft zwischen zwei Menschen zuschlug, war
die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich mit einer verbotenen,
heimlichen Liebe begnügen musste, so wie gewisse Personen in "Der Glanz
der Novemberrosen".
Während die Kleidung der wohlhabenden Bürgerinnen und
Adligen zu Beginn des 19. Jahrhunderts vergleichsweise praktisch und
bequem war, schwang die Mode Mitte des Jahrhunderts wieder um und
verlangte zunehmend so üppige, weite Röcke wie im Rokoko. Ohne Krinoline
(den mit Federstahlreifen gefüllten Unterrock) ging bald nichts mehr,
denn die wirkt auf den ersten Blick zwar unbequem und sperrig, machte es
aber erst möglich, die enorme, schwere Stoffmenge der weiten Röcke
einigermaßen bequem auf den Hüften zu tragen. Auch das Korsett hatte
daran seinen Anteil, denn es half, das Gewicht gleichmäßig auf den
Oberkörper zu verteilen und verhinderte, dass die Bänder der Röcke ins
Fleisch einschnitten. So quälend einengend und oft sogar tragisch
gesundheitsschädlich das Korsett bei enger Schnürung war, wären die
Traumkleider jener Epoche ohne dieses entscheidende Stück Unterwäsche
nicht tragbar gewesen.
Für mich stehen Korsett und Krinoline
sinnbildlich für die einengende Rolle der Frauen, die es trugen. Die
repräsentative Schönheit war eine ihrer wichtigsten Aufgaben und die
damit einhergehende Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit
gesellschaftlich absolut gewollt. Manche Frauen fühlten sich vermutlich
ehrlich wohl dabei, in dieser Rolle zu glänzen, aber die vielen, die es
nicht taten, litten mitunter ihr Leben lang.
Ach ja, die Tücken der Mode ...
Trotz
des schnell voranschreitenden technischen Fortschritts war der
selbstverständliche Motor für alle Zwecke in der Mitte des 19.
Jahrhunderts noch das Pferd. Auch der Lokomotivfabrikant Egestorff ließ
seine fertigen Loks auf einem speziell angefertigten
Schwertransportwagen von großen Pferdegespannen vom Lindener Werk zum
hannoverschen Bahnhof ziehen, wo sie erst auf die Schienen gesetzt
wurden.
Pferde dienten dem Vergnügen der Wohlhabenden wie z. B.
Sophies reitbegeisterter Schwester Dorette, und sie bewegten Lasten und
Fahrgäste jeglicher Art von A nach B. Das Bild jeder Stadt war von
Pferden und ihren Hinterlassenschaften geprägt, und der Umgang mit ihnen
für viele Menschen alltägliche Gewohnheit.
Mitte des 19. Jh. wuchsen die Bedeutung und der Wohlstand
des Bürgertums im Vergleich zu den anderen Klassen, vor allem durch die
aufstrebende Gruppe der Fabrikbesitzer. Die Biedermeierzeit am Anfang
des Jahrhunderts hatte einen Rückzug der gesamten Familie ins Häusliche
mit sich gebracht, der besonders das Leben der Frau betraf, die für die
eigenhändige perfekte Gestaltung dieser idealisierten häuslichen
Umgebung zuständig war.
Der Anspruch des perfekten Heims blieb in den
folgenden Jahrzehnten bestehen, doch die tugendhafte Hausherrin
überließ die gröberen praktischen Arbeiten zunehmend dem Personal und
widmete sich vornehmerem Zeitvertreib.
Familie Brinkhoff aus »Der
Glanz der Novemberrosen« spiegelt diesen Wechsel der Zeiten. Während die
Großmutter noch aus einfachen Verhältnissen stammt und daran gewöhnt
ist, überall tatkräftig mit anzupacken, hat Mutter Brinkhoff schon eher
nur die leitende Position der Haushälterin inne, obwohl sie die
notwendigen Hausarbeiten selbst noch praktisch beherrscht. Für die
Töchter der Familie ist die Rolle der tugendhaften Ehe- und Hausfrau
zwar ebenfalls vorgesehen, doch eingeschränkt auf die übergeordnete
Stellung, in der sie von den körperlichen Arbeiten freigestellt bleiben.
Frauenarbeit
wird im Großbürgertum zunehmend als Makel betrachtet, weil sie darauf
hinzuweisen scheint, dass die Fähigkeiten des Hausherrn nicht
ausreichen, um sie überflüssig zu machen. Den Frauen der Familie die
Arbeit zu ersparen, wird für den Herrn zur Ehrensache mit manchmal
bedrückenden Nebenwirkungen für die Betroffenen.
Der standesgemäße Verehrer gibt sein Bestes ...
Erfolgreich einen bürgerlichen Haushalt zu führen, all
den Ansprüchen an regelmäßige üppige Mahlzeiten, Sauberkeit, makellose
Ausstattung, manierliches Dienstpersonal, Gastlichkeit und
repräsentative Einrichtung zu genügen, erforderte im 19. Jahrhundert
weitreichende Kenntnisse. Entsprechend kam es zu einem Boom der von
erfahrenen Frauen verfassten Ratgeberliteratur. Von Kochrezepten,
Einkaufs- und Vorratshaltungstipps und Putzkniffen über Anstandsregeln,
Tipps für den Umgang mit dem Ehegatten und Erziehungsratschlägen bis hin
zu Krankenpflegemaßnahmen wurde in diesen Büchern alles behandelt, was
die tugendhafte Hausfrau gebrauchen konnte. Kaum eine junge Bürgerin
ging in dieser Zeit wohl in die Ehe, ohne wenigstens ein solches
Ratgeberbuch geschenkt zu bekommen. Eine bekannte Verfasserin solcher
Werke ist z. B. Henriette Davidis.
(Ich bin so dankbar, dass heute
niemand mehr von mir verlangt, stets über haufenweise blütenweiße,
gebügelte Tisch-, Bett- und Leibwäsche zu verfügen. Ehrlich, schon das
allein würde mich fertigmachen. 😅)
Obwohl es im 19. Jahrhundert in Deutschland die ersten
Verbote von Kinderarbeit oder wenigstens gesetzliche Einschränkung der
Altersgruppe und täglich erlaubten Arbeitszeit gab, war es in den
ärmeren Gesellschaftsschichten weiterhin üblich, die Kinder so früh wie
möglich mitverdienen zu lassen. Häufig wurden daher Kinder schon in
einem Alter als Hilfskräfte in die Fabriken mitgenommen, in dem die
meisten Deutschen heute ihre Kinder nicht einmal allein auf den
Spielplatz gehen lassen. Für mich ist schwer vorstellbar, wie sich das,
was die überwiegend schlecht ernährten Winzlinge leisten konnten, für
jemanden auszahlte, aber offenbar gab es Tätigkeiten, für die sich
gerade die kleinen Kinderhände besonders gut eigneten.
In den
wohlhabenden Familien war Erwerbstätigkeit für die Kinder kein Thema,
was allerdings nicht heißt, dass sie überwiegend eine unbeschwerte, nach
heutigen Maßstäben altersgerechte Kindheit erlebten. Steife, sogar für
heutige Erwachsene herausfordernde Benimmregeln wurden sowohl von den
Eltern als auch vom für die Kinderbetreuung und -ausbildung
eingestelltem Personal streng durchgesetzt. Gewaltanwendung war dabei
selbstverständlich.
Gespielt haben Kinder aller Schichten dennoch,
wann immer sich eine Chance dazu bot. Das beweisen die überlieferten
Spiele und Spielzeuge. Den Gedanken, dass sich diese kindliche Spiel-
und Lebensfreude in allen Epochen sämtlichen Widerständen zum Trotz
immer wieder einen Weg bahnte, finde ich sehr tröstlich.
1852, am Ende von »Der Glanz der Novemberrosen« ist das schnelle Reisen per Eisenbahn schon ein gutes Stück gebräuchlicher geworden als zu Beginn der Geschichte. Mit
motorisierten Straßenfahrzeugen wird ebenfalls experimentiert, und auch an der Entwicklung von Flugapparaten arbeiten etliche entschlossene Erfinder.
Für gewöhnliche Leute war jedoch ein Aufsteigen im Fesselballon als Jahrmarktsattraktion noch das Vergnügen, das dem Fliegen am nächsten kam. In Band 2 meiner »Novemberrosen« finden Sophie und Karl sich gemeinsam in einem Ballonkorb wieder, und ihre Geschichte geht weiter ...
»Der Glanz der Novemberrosen« ist zu Ende, aber die Geschichte geht weiter.
Band 2 erscheint am 14. März 2022
Die Blüte der Novemberrosen:
Hannover 1868: Sophie Brinkhoff erarbeitet sich heimlich und gegen den Willen ihrer Familie eine eigene berufliche Existenz. Doch die Summe ihrer Geheimnisse droht sie in den Untergang zu
ziehen, als ihr Ehemann Ernst sie vor ein Ultimatum und damit vor die größte Herausforderung ihres bisherigen Daseins stellt: Sie soll ihr Leben in Hannover aufgeben und mit ihm nach Oldenburg ziehen, um die für
ihren gesellschaftlichen Stand katastrophale Scheidung ihrer Ehe zu verhindern. Sophie will frei sein von gesellschaftlichen und privaten Zwängen. Und so kämpft sie für ein selbstbestimmtes Leben – und
für ihre Liebe zu dem Arbeiter Karl.