Zitat: »Eine junge Frau kämpft sich als Bogenschützin im Mittelalter durch, was leider ein Märchen ist. Keine Frau konnte sich damals in dieser Zeit durchkämpfen. Und wenn sie es versucht haben sollte, dann wurden sie unterdrückt, vergewaltigt, ermordet!«
So schrieb eine Leserin vor einigen Jahren zu »Die Bogenschützin«. Wahrscheinlich hatte sie den Roman nicht gelesen, denn was die Heldin des Romans tut, kann man mit dem Satz »Eine junge Frau kämpft sich als Bogenschützin durch« eigentlich nicht beschreiben.
Aber die Behauptung »Keine Frau konnte sich damals durchkämpfen« ist mir trotzdem eine nähere Betrachtung wert. Ist das die Wahrheit über Frauen im Mittelalter? Waren sie wirklich allein so chancenlos? Und müsste entsprechend eigentlich jedem historischen Roman eine Triggerwarnung vorausgestellt werden?
In dem langen Zeitraum von 500 bis 1500, den wir heute mit dem Oberbegriff »Mittelalter« bezeichnen, veränderte sich die Stellung der Frau immer wieder und sie variierte ohnehin von Ort zu Ort (auch innerhalb des heutigen Deutschlands) stark. Selbst die Kauffrau aus Köln und die aus Magdeburg verfügten im Jahr 1420 über unterschiedliche Rechte.
Grundsätzlich gilt aber, dass (mindestens) die vergangenen 1000 Jahre eine insgesamt gewalttätige und frauenfeindliche Zeit waren. Die Gewalt betraf alle, doch Frauen gegenüber wurde sie über alle Gesellschaftsschichten hinweg in besonderem Maße rechtlich legitimiert oder zumindest ignoriert. Daher waren sie körperlichen und seelischen Übergriffen in hohem Maß ausgesetzt – ausgeübt sowohl von bösartigen, als auch von im Rahmen ihrer sozialen Prägung wohlmeinenden Männern (die aus »erzieherischen« Gründen ihr Züchtigungsrecht anwandten), aber auch von anderen Frauen, die das misogyne Gesellschaftssystem aus Gründen des Selbstschutzes stützten, sogar wenn sie faktisch selbst von der resultierenden Ungerechtigkeit und Brutalität betroffen waren.
Dennoch lässt sich feststellen, dass Frauen im Mittelalter insgesamt mehr Möglichkeiten hatten, sich beruflich und eigenständig zu betätigen als später in der frühen Neuzeit. Sie gingen einer ganzen Reihe von Berufen nach, und wo das so war, können wir davon ausgehen, dass sie auch einen gewissen Bewegungsspielraum hatten, um ihre Waren anzubieten, Rohstoffe einzukaufen und Geschäftspartner oder -partnerinnen für Verhandlungen zu treffen. Wie weit sie sich dabei aus den sicheren Grenzen ihres Hauses bzw. Heimatorts hinauswagen konnten, hing vor allem davon ab, wie sicher die Umgebung grundsätzlich war, und darüber lässt sich kaum etwas Allgemeingültiges sagen. War die Gegend stark oder schwach besiedelt? Herrschten Krieg oder Fehde? Gab es eine Landesherrschaft, der die Sicherheit von Kaufleuten und anderen Reisenden auch auf den Straßen außerhalb der Burg- und Stadtmauern ein wichtiges Anliegen war?
Allgemeingültig lässt sich hingegen sagen, dass die unverheiratete, eigenverantwortlich handelnde Frau in der Gesellschaft des gesamten Mittelalters nicht vorgesehen war. Eine ledige Frau wurde als entweder noch nicht verheiratet (Jungfer) oder nicht mehr verheiratet (Witwe) behandelt.
Die Jungfrau wurde akzeptiert, so lange sie von ihrer Verwandtschaft oder einem männlichen Stellvertreter beherbergt, geschützt (und bevormundet) wurde. Der Status der Witwe unterschied sich je nach Ort und Umständen stark und konnte ihr im besten Fall eine hohe Eigenständigkeit ermöglichen. Auch dann blieb aber der für sie von der Gesellschaft vorgesehene Aufenthaltsort der häusliche Bereich.
Diese Zuschreibungen führten dazu, dass eine alleinstehende Frau ohne festes Heim und ohne den Schutz eines Vormunds fast automatisch außerhalb der Gesellschaft stand und daher nicht auf ihre Unterstützung bauen konnte.
Das galt sowohl für die Frauen, die sich an einem alternativen Lebensstil innerhalb der Städte versuchten, als auch für die, die zum fahrenden Volk gehörten, so wie für diejenigen, die den kriegführenden Heeren folgten, um die Soldaten zu versorgen. Bekanntermaßen gab es diese Frauen dennoch, und auch wenn sie höchstwahrscheinlich immer bemüht waren, sich durch einen schützenden Kreis von Begleitern abzusichern, ist es vorstellbar, dass sich Umstände ergaben, unter denen sie zumindest zeitweise völlig auf sich allein gestellt waren.
In kriegsbedingten gewalttätigen Konflikten zu den Waffen gegriffen haben sie dennoch selten, Erwähnungen von bewaffnet kämpfenden Frauen sind in den historischen Quellen rar. Was nicht heißen soll, dass eine Frau nicht auch damals schon ausgezeichnet z. B. einen Bogen führen konnte. Das beweisen die vielen adligen Jägerinnen jener Zeit. Und man darf nicht vergessen, dass viele Frauen damals durch die viele harte körperliche Arbeit im Durchschnitt vermutlich stärker waren als wir es (im Durchschnitt) heute sind.
Zurück zum Ausgangspunkt: War es damals, um 1420 herum möglich, dass eine Frau sich allein durchschlug?
Sich als unverheiratete, allein lebende Frau, die nicht über besonderen familiären Rückhalt oder Schutz durch die Landes- oder Stadtherrschaft verfügte, eine angesehene Existenz aufzubauen, war schon aus rechtlichen Gründen vielerorts kaum möglich. Aber es wird immer wieder Notlagen gegeben haben, in denen einer Frau nichts anderes übrig blieb, als zumindest Teile ihrer Reise (sowohl wörtlich als sinnbildlich gemeint) allein zu bewältigen. Ich sehe keinen Grund, warum es ihr nicht hätte gelingen sollen, so lange sie von der größten Gefahr ihrer (und unserer) Zeit Abstand hielt: von gewalttätigen Männern. Dafür werden die Frauen damals ebenso ihre Strategien gehabt haben, wie wir sie heute haben. Und dass es auch damals schon die andere Sorte Mann gab, die der gesellschaftlich abgründigen Lage zum Trotz fähig war, sich Frauen gegenüber anständig, unvoreingenommen und mitfühlend zu verhalten, steht außer Frage. Dafür gibt es in den überlieferten Lebensgeschichten von Frauen genug Belege.
Wie sieht es nun mit der Triggerwarnung zu meinen Romanen aus?
Einen historischen Roman zu schreiben, und dabei die Allgegenwärtigkeit von Gewalt und Unfreiheit außer acht zu lassen, bedeutet, die historische gesellschaftliche Wirklichkeit zu verleugnen und den unbeschreiblich harten Weg der weiblichen Emanzipation kleinzureden. In meinen Romanen ist die Benachteiligung der Frauen immer ein begleitendes Thema. Trotzdem stelle ich Gewalterfahrungen meiner Protagonistinnen nicht in den Vordergrund und beschreibe Gewalt nicht ausschweifend oder drastisch explizit.
Ob bestimmte Szenen für manche Leserïnnen dennoch zu schmerzhaft sein könnten, kann ich pauschal nicht beurteilen und möchte deshalb auch keine pauschale Triggerwarnung voranstellen. Ich schlage stattdessen vor, dass ihr euch direkt an mich wendet und konkret nachfragt, falls ihr unsicher seid. Das dürft ihr auch gern anonym z. B. per Email mit einer neutralen Emailadresse.
Falls ihr euch in das Thema »Frauengeschichte« einlesen möchtet, hier ein paar Lesetipps aus meinen Regalen:
Duby / Perrot: Geschichte der Frauen
Kaari Utriu: Evas Töchter
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter
Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses
Hufton: Frauenleben. Eine europäische Geschichte. 1500 – 1800
Jesch: Women in the Viking Age
Beuys: Die neuen Frauen – Revolution im Kaiserreich
Richter / Wolff: Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa
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