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Mittwoch, 27. Oktober 2021

Der Glanz der Novemberrosen: Hintergründe Teil 2

Mirjana Cvjetkovic hat für die hannoversche "Neue Presse" einen Beitrag über das Buch und mich geschrieben. Hier geht es zur Onlineversion.

Frank Füllgrabe schrieb für die "Landeszeitung der Lüneburger Heide" einen Beitrag, der für Abonnenten der Zeitung online hier im Archiv nachzulesen ist.

Über beide Beiträge freue ich mich sehr.

 

Taschenbuch und E-Book von »Der Glanz der Novemberrosen« sind im Goldmann Verlag erschienen und überall im Buchhandel bestellbar.

Hannover Mitte des 19. Jahrhunderts: Als Töchter des Lokomotivfabrikanten Georg Brinkhoff wachsen Sophie und ihre Schwestern in Reichtum auf. Aber anders als ihre Familie sieht Sophie die Nöte der Arbeiter. Als sie sich für soziale Gerechtigkeit engagiert, lernt sie den verheirateten Fabrikschmied Karl kennen. Es ist für beide Liebe auf den ersten Blick. Doch hin- und hergerissen zwischen ihrer verbotenen Beziehung und dem Pflichtgefühl gegenüber ihrer Familie heiratet sie schließlich den Ingenieur Ernst Drave, für den sie nichts empfindet. Ihre Liebe zu Karl ist jedoch stärker denn je. Und so beginnen beide ein gefährliches Doppelleben ...

 

 

Im 19. Jahrhundert verfestigt sich zunehmend der Kontrast zwischen der üppigen und farbenfrohen Damenmode der besseren Gesellschaft und der eher tristen und schlichten Herrenmode. Der Herr, der etwas auf sich hält, trägt Hut (gern einen Zylinder), Weste, eine leicht taillierte Jacke in gedeckter Farbe, einen Binder zum Hemd und einen schicken Gehstock. Und er muss aufpassen, dass er nicht über seine überlangen Pantalons stolpert, worüber die siebzehnjährige Sophie sich in einer der ersten Szenen von »Der Glanz der Novemberrose« heimlich amüsiert.

 


 
Karls erster Eindruck von der Frau, die ihn nicht mehr loslassen wird ...

 


Auch im 19. Jahrhundert führten Missernten und Teuerungen noch zu dramatischen Hungersnöten, von denen die ärmeren Stadtbewohner oft schlimmer getroffen wurden als die Leute auf dem Land, die sich näher an den Nahrungsquellen befanden. In der Stadt musste ein großer Teil der ohnehin niedrig bemessenen Arbeitslöhne für Lebensmittel ausgegeben werden. Entsprechend standen den Leuten kaum Mittel zur Verfügung, um für alle anderen Bedürfnisse aufzukommen. Hinzu kam, dass günstiger Wohnraum in den Industriestädten, in denen die Fabriken rasant wuchsen und einen Strom von Arbeitskräften anzogen, ohnehin knapp war. Das führte dazu, dass Arbeiterfamilien auf engstem Raum leben mussten. Meist verfügten sie nur über eine häufig schlecht beleuchtete und schwierig zu lüftende Wohn-Schlaf-Küche, zu der bestenfalls noch eine kleine Nebenkammer gehörte. In diesem Bereich spielte sich das gesamte häusliche Leben ab. Besonders die für die Kinderbetreuung und Zubereitung von Mahlzeiten zuständigen Frauen und ihre kleinen Kinder verbrachten in dieser bedrückenden, ziemlich ungesunden Enge viel Zeit, während die größeren Kinder immerhin nach draußen und die Männer in die Eckkneipen flüchten konnten. Den arbeitenden Männern blieb übrigens ohnehin wenig Zeit neben ihrer Arbeit. Ein 14-Stunden-Tag war keine Seltenheit.
Ich finde es immer erstaunlich, dass Menschen, die unter diesen harten Bedingungen lebten, trotzdem gelegentlich noch die Kraft fanden, um feiern und tanzen zu gehen. Wahrscheinlich hatten viele von ihnen trotz aller Not eine ziemlich gute Kondition.

 


In Deutschland setzte die industrielle Revolution am Anfang des 19. Jahrhunderts ein. Die verbesserten Methoden der Eisenproduktion und die Ausbreitung der Dampfmaschine zogen die Erfindung von Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinen aller Art nach sich. Eine Maschinenfabrik wie die der Familie Brinkhoff in »Der Glanz der Novemberrosen«, wo vor allem große Werkstücke wie Lokomotiven oder Erntemaschinen hergestellt wurden, die sich meist noch in der Entwicklung befanden, war allerdings von Massenproduktion noch weit entfernt. Auch die Optimierung von Arbeits- und Vertriebsprozessen musste ja erst einmal erfunden werden. 

 

 

Das erste Wiedersehen in der väterlichen Fabrik ...

 


Die streng überwachte, junge bürgerliche Frau des 19. Jahrhunderts konnte ihren Ehepartner nur mit Zustimmung ihres Vormunds, also meistens des Vaters, wählen. Gründe, eine Ehe zu verbieten, gab es für Eltern viele, und oft spielten strategische Überlegungen eine Rolle, die die gesellschaftliche Stellung der gesamten Familie betrafen. Doch auch wenn es nicht um kühles heiratspolitisches Kalkül ging, hätte wohl kaum ein fürsorglicher bürgerlicher Vater dieser Epoche seiner Tochter erlaubt, einen Mann zu heiraten, der ihr keine in seinen Augen angemessene materielle Sicherheit bieten konnte. Gab es wenigstens vielversprechende Aufstiegschancen, konnte das einen Unterschied machen, doch grundsätzlich war der Wunsch, die eigenen Kinder innerhalb der Klassengesellschaft eher »nach oben« zu verheiraten, sehr mächtig.
Alternativ in einer unehelichen Beziehung zu leben, bedeutete für Frauen den Verlust ihres Ansehens und beraubte sie häufig der Aussicht auf Mitgift oder Erbschaft (für eine Frau jener Zeit fast die einzigen Möglichkeiten, zu einer eigenen finanziellen Absicherung zu kommen.) »Wilde Ehen« wurden oft sogar staatlich unterbunden. Ehebrecherische Beziehungen verboten sich natürlich völlig, obwohl viele arrangierte Ehen mangels einfacher Scheidungsmöglichkeiten nach einer Weile nur noch pro forma existierten.
Wann immer also das Herz damals einen eigenen Willen hatte und die Leidenschaft zwischen zwei Menschen zuschlug, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich mit einer verbotenen, heimlichen Liebe begnügen musste, so wie gewisse Personen in "Der Glanz der Novemberrosen".

 




 Während die Kleidung der wohlhabenden Bürgerinnen und Adligen zu Beginn des 19. Jahrhunderts vergleichsweise praktisch und bequem war, schwang die Mode Mitte des Jahrhunderts wieder um und verlangte zunehmend so üppige, weite Röcke wie im Rokoko. Ohne Krinoline (den mit Federstahlreifen gefüllten Unterrock) ging bald nichts mehr, denn die wirkt auf den ersten Blick zwar unbequem und sperrig, machte es aber erst möglich, die enorme, schwere Stoffmenge der weiten Röcke einigermaßen bequem auf den Hüften zu tragen. Auch das Korsett hatte daran seinen Anteil, denn es half, das Gewicht gleichmäßig auf den Oberkörper zu verteilen und verhinderte, dass die Bänder der Röcke ins Fleisch einschnitten. So quälend einengend und oft sogar tragisch gesundheitsschädlich das Korsett bei enger Schnürung war, wären die Traumkleider jener Epoche ohne dieses entscheidende Stück Unterwäsche nicht tragbar gewesen.
Für mich stehen Korsett und Krinoline sinnbildlich für die einengende Rolle der Frauen, die es trugen. Die repräsentative Schönheit war eine ihrer wichtigsten Aufgaben und die damit einhergehende Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit gesellschaftlich absolut gewollt. Manche Frauen fühlten sich vermutlich ehrlich wohl dabei, in dieser Rolle zu glänzen, aber die vielen, die es nicht taten, litten mitunter ihr Leben lang.

 


 Ach ja, die Tücken der Mode ...

 


Trotz des schnell voranschreitenden technischen Fortschritts war der selbstverständliche Motor für alle Zwecke in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch das Pferd. Auch der Lokomotivfabrikant Egestorff ließ seine fertigen Loks auf einem speziell angefertigten Schwertransportwagen von großen Pferdegespannen vom Lindener Werk zum hannoverschen Bahnhof ziehen, wo sie erst auf die Schienen gesetzt wurden.
Pferde dienten dem Vergnügen der Wohlhabenden wie z. B. Sophies reitbegeisterter Schwester Dorette, und sie bewegten Lasten und Fahrgäste jeglicher Art von A nach B. Das Bild jeder Stadt war von Pferden und ihren Hinterlassenschaften geprägt, und der Umgang mit ihnen für viele Menschen alltägliche Gewohnheit.

 


 Mitte des 19. Jh. wuchsen die Bedeutung und der Wohlstand des Bürgertums im Vergleich zu den anderen Klassen, vor allem durch die aufstrebende Gruppe der Fabrikbesitzer. Die Biedermeierzeit am Anfang des Jahrhunderts hatte einen Rückzug der gesamten Familie ins Häusliche mit sich gebracht, der besonders das Leben der Frau betraf, die für die eigenhändige perfekte Gestaltung dieser idealisierten häuslichen Umgebung zuständig war.
Der Anspruch des perfekten Heims blieb in den folgenden Jahrzehnten bestehen, doch die tugendhafte Hausherrin überließ die gröberen praktischen Arbeiten zunehmend dem Personal und widmete sich vornehmerem Zeitvertreib.
Familie Brinkhoff aus »Der Glanz der Novemberrosen« spiegelt diesen Wechsel der Zeiten. Während die Großmutter noch aus einfachen Verhältnissen stammt und daran gewöhnt ist, überall tatkräftig mit anzupacken, hat Mutter Brinkhoff schon eher nur die leitende Position der Haushälterin inne, obwohl sie die notwendigen Hausarbeiten selbst noch praktisch beherrscht. Für die Töchter der Familie ist die Rolle der tugendhaften Ehe- und Hausfrau zwar ebenfalls vorgesehen, doch eingeschränkt auf die übergeordnete Stellung, in der sie von den körperlichen Arbeiten freigestellt bleiben.
Frauenarbeit wird im Großbürgertum zunehmend als Makel betrachtet, weil sie darauf hinzuweisen scheint, dass die Fähigkeiten des Hausherrn nicht ausreichen, um sie überflüssig zu machen. Den Frauen der Familie die Arbeit zu ersparen, wird für den Herrn zur Ehrensache mit manchmal bedrückenden Nebenwirkungen für die Betroffenen.

 


 Der standesgemäße Verehrer gibt sein Bestes ...

 


 Erfolgreich einen bürgerlichen Haushalt zu führen, all den Ansprüchen an regelmäßige üppige Mahlzeiten, Sauberkeit, makellose Ausstattung, manierliches Dienstpersonal, Gastlichkeit und repräsentative Einrichtung zu genügen, erforderte im 19. Jahrhundert weitreichende Kenntnisse. Entsprechend kam es zu einem Boom der von erfahrenen Frauen verfassten Ratgeberliteratur. Von Kochrezepten, Einkaufs- und Vorratshaltungstipps und Putzkniffen über Anstandsregeln, Tipps für den Umgang mit dem Ehegatten und Erziehungsratschlägen bis hin zu Krankenpflegemaßnahmen wurde in diesen Büchern alles behandelt, was die tugendhafte Hausfrau gebrauchen konnte. Kaum eine junge Bürgerin ging in dieser Zeit wohl in die Ehe, ohne wenigstens ein solches Ratgeberbuch geschenkt zu bekommen. Eine bekannte Verfasserin solcher Werke ist z. B. Henriette Davidis.
(Ich bin so dankbar, dass heute niemand mehr von mir verlangt, stets über haufenweise blütenweiße, gebügelte Tisch-, Bett- und Leibwäsche zu verfügen. Ehrlich, schon das allein würde mich fertigmachen. 😅) 

 


 Obwohl es im 19. Jahrhundert in Deutschland die ersten Verbote von Kinderarbeit oder wenigstens gesetzliche Einschränkung der Altersgruppe und täglich erlaubten Arbeitszeit gab, war es in den ärmeren Gesellschaftsschichten weiterhin üblich, die Kinder so früh wie möglich mitverdienen zu lassen. Häufig wurden daher Kinder schon in einem Alter als Hilfskräfte in die Fabriken mitgenommen, in dem die meisten Deutschen heute ihre Kinder nicht einmal allein auf den Spielplatz gehen lassen. Für mich ist schwer vorstellbar, wie sich das, was die überwiegend schlecht ernährten Winzlinge leisten konnten, für jemanden auszahlte, aber offenbar gab es Tätigkeiten, für die sich gerade die kleinen Kinderhände besonders gut eigneten.
In den wohlhabenden Familien war Erwerbstätigkeit für die Kinder kein Thema, was allerdings nicht heißt, dass sie überwiegend eine unbeschwerte, nach heutigen Maßstäben altersgerechte Kindheit erlebten. Steife, sogar für heutige Erwachsene herausfordernde Benimmregeln wurden sowohl von den Eltern als auch vom für die Kinderbetreuung und -ausbildung eingestelltem Personal streng durchgesetzt. Gewaltanwendung war dabei selbstverständlich.
Gespielt haben Kinder aller Schichten dennoch, wann immer sich eine Chance dazu bot. Das beweisen die überlieferten Spiele und Spielzeuge. Den Gedanken, dass sich diese kindliche Spiel- und Lebensfreude in allen Epochen sämtlichen Widerständen zum Trotz immer wieder einen Weg bahnte, finde ich sehr tröstlich.

 

 

1852, am Ende von »Der Glanz der Novemberrosen« ist das schnelle Reisen per Eisenbahn schon ein gutes Stück gebräuchlicher geworden als zu Beginn der Geschichte. Mit motorisierten Straßenfahrzeugen wird ebenfalls experimentiert, und auch an der Entwicklung von Flugapparaten arbeiten etliche entschlossene Erfinder.

Für gewöhnliche Leute war jedoch ein Aufsteigen im Fesselballon als Jahrmarktsattraktion noch das Vergnügen, das dem Fliegen am nächsten kam. In Band 2 meiner »Novemberrosen« finden Sophie und Karl sich gemeinsam in einem Ballonkorb wieder, und ihre Geschichte geht weiter ...

 


»Der Glanz der Novemberrosen« ist zu Ende, aber die Geschichte geht weiter.

Band 2 erscheint am 14. März 2022

Die Blüte der Novemberrosen:

Hannover 1868: Sophie Brinkhoff erarbeitet sich heimlich und gegen den Willen ihrer Familie eine eigene berufliche Existenz. Doch die Summe ihrer Geheimnisse droht sie in den Untergang zu ziehen, als ihr Ehemann Ernst sie vor ein Ultimatum und damit vor die größte Herausforderung ihres bisherigen Daseins stellt: Sie soll ihr Leben in Hannover aufgeben und mit ihm nach Oldenburg ziehen, um die für ihren gesellschaftlichen Stand katastrophale Scheidung ihrer Ehe zu verhindern. Sophie will frei sein von gesellschaftlichen und privaten Zwängen. Und so kämpft sie für ein selbstbestimmtes Leben – und für ihre Liebe zu dem Arbeiter Karl.