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Donnerstag, 25. April 2024

Über Ent-Täuschungen beim Lesen


 

In meinem letzten Blog-Posting sprach ich darüber, dass ich als Autorin meinen Leserïnnen die Enttäuschung über ein fehlendes Happy End nach ihren Wünschen nicht immer ersparen kann. Kürzlich stieß ich in einer Rezension auf eine andere Art der Ent-Täuschung einer Leserin. (Es geht um das Sachbuch »Die wahre Geschichte der Wikinger« von Neil Price.) Sie schreibt: »Es nimmt einem sehr viele Illusionen über die Wikinger, fügt aber tolle und interessante neue Aspekte hinzu.«

Andere Stimmen kritisieren das Buch dafür, dass Price in seiner Interpretation der Quellen den Menschen der damaligen Zeit eine ähnliche Diversität und Widersprüchlichkeit im Umgang mit ihren Werten zugesteht, wie wir sie heute kennen. Diese Kritikerïnnen bringen zwischen den Zeilen zum Ausdruck, dass sie »ihre Wikinger« nicht entzaubert sehen wollen, Sie wollen ihrer Illusionen nicht durch neuere Erkenntnisse beraubt werden, sondern das starre Bild behalten, das sie sich von ihren »Helden« gemacht haben.

Die Bereitschaft von Leserïnnen, sich enttäuschen zu lassen und ihr altes Bild von einer Epoche, von den historischen Vorgängen, Persönlichkeiten und Verhaltensweisen durch ein neues zu ersetzen, spielt auch für mich als Autorin von historischen Romanen eine Rolle. Allerdings betrachte ich es nicht als Kernaufgabe eines Romans, den neusten Forschungsstand zu vermitteln. (Logisch, denn bereits erschienene Romane lassen sich den sich wandelnden, oft lange umstrittenen Erkenntnissen ohnehin fast nie anpassen.) Ich denke, ein historischer Roman hat den »belehrenden« Teil seiner Aufgabe erfüllt, wenn er in Leserïnnen die Neugier weckt, ob ein historisches Geschehen tatsächlich so abgelaufen ist wie dargestellt.

Darüber hinaus sollte man für die Dauer des Romanlesens den »kritischen Historiker« zwar im Hinterkopf haben, ihm aber lieber das Wort verbieten und sich damit beruhigen, dass ein Roman per Definition eine erfundene Geschichte und nicht zur Faktentreue verpflichtet ist.
(Was übrigens nicht bedeutet, dass ich beim Schreiben keinen Wert auf Recherche und größtmögliche Authentizität lege. Das ist mir im Gegenteil sehr wichtig. Aber ich bin mir meiner Grenzen bewusst.)